Gerald – Taiwan
Ich erinnere mich an die Worte von Huan Taoyun: schlucke nie die
Perle einer Drachenmuschel, denn sie wird Dich töten. Und nun stehe
ich inmitten der Kehle eines Drachens und überlege wohin ich mich
wenden soll. Dabei begann alles ganz harmlos. Ich erreichte Kaohsiung
nach einem gut vierstündigen Flug von KL aus. Immer wieder dieses
KL, mein Gott, wie schrecklich und dann dieses unbedarfte Fleckchen
im süden Taiwans. Kaohsiung, wer kennt schon diese Stadt.
Nichtssagend, wenig Sehenswürdigkeiten, da müssen schon schon viel
versprechende Namen her, wie der Love-Fluss, der Love-Pier, der
Love-Hügel. Aber trotzdem bleibt die Stadt nichtssagend. Doch wie
viele nichtssagende Städte, hat sie etwas Attraktives. Kaohsiung ist so
nichtssagend wie schön, weil einfach ein Ort wie Du und Ich. Keine
Hop on – Hop off Busse, keine Touristeninformation, keine
Empfehlungen über phantastische Orte, Begebenheiten und tolle Night-
Clubs, kein wichtiges sehen und gesehen werden. Ich mag diesen Ort,
trotz der ganzen Love-Affairs eines örtlichen Büros, die sich als das
herausstelten, was ich mir schon dachte:als ganz schlechte Werbung.
Immerhin ein Versuch. Und passend zu dieser Stadt. Ein gescheiterter
Versuch, doch so liebenswert. Jedoch – jetzt in der Kehle eines Drachen
erscheint mir dies doch eher unbedeutend und ich gestehe: es macht
sich Angst breit. Es stinkt, es ist Dunkel, und der schlangenähnliche
Körper des Drachen bewegt sich, presst sich an mich, würgt mich.
Der Drache heisst Ao. Immerhin weiss ich nun seinen Namen. Doch
was ist er für ein Drache? Ein guter, ein böser? Ein Feuerdache, ein
Wasserdrache? Spuckt er mich aus oder schluckt er mich runter? Noch
bin ich in seiner Kehle. Kann nur abwarten. Was für eine Situation.
Warst Du schon mal in der Kehle eines Drachen? Wenn ja, dann weisst
du wie es ist. Wenn nein, dann freue Dich und leg es nie darauf an dort
zu sein. Ao scheint sich zu bewegen. Es rumpelt und ich fliege von einer
Seite zur anderen. Diese verdammte Perle. Die golden Rhyme Sea Pearl
auf Qijin Island unweit des Fischmarktes. Dort wo diese grosse
Muschel steht, von irgendeinem Architekten erdacht. Dort wo diese alte
Frau mir zu essen gab, mit dem versprechen es würde aussehen wie eine
Meeresperle, dieses Gebäck, aber schmackhaft würde es sein und feurig
wie der Schlund eines Drachens. In der Tat, so war es. Ich mochte diese
Frau nicht, habe aber gekostet. Was kostet mich nun dieses
Fehlverhalten? Ich erinnere mich noch an ihr Lachen, an ihre langen
grauen haare, ungepflegt hingen sie wie tausend Schlangen weit nach
unten, ihre Augen waren wie tiefe dunkle Höhlen, ihr Lachen wie
irgendwas zwischen Finsternis und Hölle, der Mund geschlossen, aber
trotzdem speiste ich, während gleichzeitig die Worte aus der
Vergangenheit, in meinem Gehirn Raum fanden, die ich vergessen
hatte: schlucke nie in China die Perle eines Drachens, in welcher Form
sie sich auch darbietet. Denn der Fremde wird nie verstehen.
Doch ich versuche zu verstehen. Ich erinnere mich an die Tempel, die
zahlreichen in China, Hongkong und jetzt auf Taiwan. Oft waren dort
Menschen, oft Krieger abgebildet, wie sie auf Drachen, aber auch auf
Tigern ritten. Diese Lebewesen mögen uns als Fabelwesen erscheinen,
doch in der chinesischen Mythologie waren sie den Göttern nah. So gab
es oft die Zwiesprache zwischen den Menschen und den göttlichen
Vertretern und ich erinnerte mich an so manche Weisheit dieses
kosmischen Gebildes. Sind deine Gedanken rein so nehme an die Hilfe.
Und da sah ich diese Hilfe in Form eines Tigers, welcher sich vor der
Kehle des Drachens behaglich in der Sonne rekelte und so nahm ich sie
an, die Hilfe dieser Erinnerung durch die Bilder in den Tempel, in
Darstellungen zwischem dem Himmel und der Erde oder wie manche
sagen und denken würden, die Hilfe der Erinnerung, die mir dargeboten
wurde, zwischen einem irdischen Wesen und einem göttlichen: dringe
ein in die Kehle eines Drachens und komme heraus aus dem Rachen
eines Tigers, so tauscht Du das Unglück der Gegenwart gegen das
Glück der zukünftigen Zeiten. Und so verließ ich Ao durch den Rachen
eines Tigers und befinde mich wieder in der Strassen von Kaohsiung
und morgen werde ich ein kleines, unscheinbares Haus in der Quilin
Road aufsuchen. Dort lebt Huan Taoyun.